LEO Bahn- und Schwerefeldbestimmung

Eine von vielen wichtigen Anwendungen von Globalen Navigations Satelliten Systemen (GNSS) ist die präzise Bahnbestimmung tieffliegender Satelliten (engl. Low Earth Orbiters, LEOs), d.h. Satelliten, welche die Erde in einer Höhe von etwa 200-2000 km umkreisen. Etliche dieser Satelliten haben einen GNSS (bis heute v.a. GPS)-Empfänger an Bord, welche das ständige Tracken von GPS-Satelliten und damit eine absolute Positionierung der GPS-Antenne im cm-Bereich erlauben. Solche Genauigkeiten sind z.B. bei Altimetrie-Missionen gefordert, wo radiale Bahnfehler direkt die Höhenmessungen verfälschen.
Wir unterscheiden zwischen drei Typen von Bahnen:

  • Kinematische Bahn. Dies ist eine Abfolge dreidimensionaler Satellitenpositionen an diskreten Messepochen. Die Positionen sind rein geometrische Lösungen einer kinematischen Positionierung und sind vollständig unabhängig von jeglichen Kräftemodellen, welche die Dynamik des Satelliten beschreiben. Eine kinematische Bahn gibt weder Auskunft über die Satellitenpositionen zwischen den Messepochen, noch über die Satellitengeschwindigkeit. Wegen ihrer Unabhängigkeit von den Kräftemodellen sind die kinematischen Bahnen geeignet, den langwelligen Anteil des Erdschwerefeldes zu bestimmen.
  • Dynamische Bahn. Diese Bahnen sind partikuläre Lösungen der Bewegungsgleichung, welche die Dynamik des Satelliten beschreibt und, im besten Fall, alle möglichen Beschleunigungen beinhaltet, welche auf den Satelliten wirken. Für eine dynamische Bahnbestimmung werden die GPS-Messungen verwendet, um die Anfangsbedingungen (oder äquivalent dazu die sechs Keplerschen Elemente) zusammen mit anderen Parametern der Bewegungsgleichung zu bestimmen. Dynamische Bahnen hängen vollständig von den zugrunde liegenden Kräftemodellen ab und deren Qualität beeinflusst daher direkt die Genauigkeit dynamischer Bahnen. Diese Art von Bahn liefert die Satellitenpositionen und –geschwindigkeit zu jedem beliebigen Zeitpunkt.
  • Reduziert-dynamische Bahn. Diese Bahnen erfüllen wiederum die Bewegungsgleichung des Satelliten, welche die Kräftemodelle beinhaltet. Allerdings wird der Einfluss der Kräftemodelle in gewissem Masse reduziert, indem man sogenannte pseudo-stochastische Bahnparameter einführt. Dies sind z.B. instantane Änderungen der Bahngeschwindigkeit (pseudo-stochastische Pulse) oder stückweise konstante Beschleunigungen. Diese Parameter sind zwar unphysikalisch, stellen aber ein sehr mächtiges Mittel dar, um Satelliten-Beschleunigungen aufzufangen, welche nicht oder falsch modelliert werden (z.B. verursacht durch Luftwiderstand oder Strahlungsdruck). Die reduziert-dynamische Bahnbestimmung erlaubt die Berechnung von LEO-Bahnen von höchster Qualität.

Kinematische Satellitenpositionen können als Pseudo-Beobachtungen für eine nachfolgende Berechnung des Schwerefeldes dienen. Am AIUB wird dies im Rahmen des sog. Celestial Mechanics Approach (CMA) realisiert, welcher eine gemeinsame Bahn- und Schwerefeldbestimmung darstellt. Es werden dabei nicht nur die Parameter einer (reduziert-) dynamischen Bahn bestimmt, sondern gleichzeitig das Schwerefeld (meist die Koeffizienten seiner sphärisch-harmonischen Entwicklung) als Teil der Bewegungsgleichung. Die Daten der folgenden, speziell zur Messung von Schwerefeldern konzipierten Satelliten wurden und werden sehr erfolgreich am AIUB prozessiert, um Schwerefeld-Modelle zu produzieren:

  • CHAllenging Minisatellite Paylod (CHAMP) war der erste Satellit, mit dem man das Erdschwerefeld mittels GPS-Messungen bestimmt hat.
  • Die beiden Satelliten des Gravity Recovery And Climate Experiment (GRACE) liefern neben GPS-Messungen auch hochpräzise Messungen der Zwischensatellitendistanz. Diese Messungen fliessen als zusätzliche, sehr gewichtige Information in die Berechnung des Erdschwerefeldes ein und ermöglichen insbesondere die Bestimmung des hochfrequenten und zeitvariablen Anteils des Schwerefeldes. Auf dem selben Prinzip beruht auch
  • die Gravity Recovery and Interior Laboratory (GRAIL)-Mission, welche die hochgenaue Bestimmung des Mondschwerefeldes sowohl auf der Vorder-, wie auch auf der Rückseite des Erdtrabanten ermöglichte.
  • Gravity and steady-state Ocean Circulation Explorer (GOCE) hatte ein Gradiometer an Bord, d.h. drei Paare hochsensitiver Beschleunigungsmesser, welche die direkte Messung des Schwerefeldtensors ermöglichte. Ähnlich wie für die anderen Missionen wurde der langwellige Anteil des Schwerefeldes hauptsächlich aus den GPS-basierten kinematischen Satellitenpositionen berechnet.

Die satellitengestützte Bestimmung globaler Schwerefelder der Erde (oder anderer Himmelskörper) ist zum unentbehrlichen Werkzeug für die geophysikalische Forschung geworden und hilft mit, das komplexe System Erde zu beobachten.